Die beinahe Zerstörung von Crawinkel - Kriegstagebuch: 10. April 1945
(Aktueller Stand 10.4.2022)
Am 10. April 1945 endete der für General Patton’s 3. US-Armee der 5 tägige, erzwungene Halt an der Linie Oberhof – Gotha – Langensalza – Mühlhausen. Die 1. US-Armee war nun im Raum nördlich Mühlhausen angekommen und sicherte wieder die nördliche Flanke. Sie startete damit den Kampf um Nordthüringen. Die Planungen wurden an diesem Tag für die Wiederaufnahme des Angriffs nach Osten abgeschlossen. Die Divisionen nahmen im Tagesverlauf ihre Ausgangsstellungen für den Großangriff zur geplanten alliierten Haltelinie an der Mulde ein. Dort sollte die Sowjetarmee ebenfalls von Osten aus vorstoßen und so sollte gemeinsam das restliche 3. Reich in ein nördliches und ein südliches Kampfgebiet aufgeteilt werden. Die 80. US-Infanteriedivision begann mit der Einschließung von Erfurt. Sie stießen nebenbei auf Dr. Bela Fabian, den Präsidenten der Ungarischen Unabhängigen Demokratischen Partei und ehemaligen Führer der politischen Opposition im Parlament der Hothy-Regierung, der als Jude nach Auschwitz, über das KZ Oranienburg bis in das KZ Ohrdruf, Außenlager Espenfeld deportiert worden war. Von dort gelang im letztlich die Flucht vermutlich während des Todesmarsches. In einer ersten Pressekonferenz noch am gleichen Tag informierte er die Weltöffentlichkeit, dass in Auschwitz fünf Millionen Juden von den Deutschen ermordet wurden. Bereits am nächsten Tag ging diese Nachricht mit großem Entsetzen, aber auch Unglauben, um die Welt. (Quelle: Panzerkeile auf der Thüringer Autobahn April 1945, Jürgen Möller)
Der deutsche 11. Panzer-Division des LXXXV. Armeekorps, welche sich am linken Flügel des Korps kämpfend aus dem Thüringer Wald im Raum Friedrichroda - Tambach - Gräfenhain - Georgenthal zurückzog, baute noch am 9. April westlich der Linie Crawinkel - Geschwenda - Ilmenau die Verteidigung neu auf, wobei sie in Ilmenau sogar Anschluss an den linken Nachbarn, die Kampfgruppe Schrötter des XII. Armeekorps fand. Diese wurde ebenfalls dem LXXXV. Armeekorps unterstellt. Am Morgen des 10. April traf in Weimar das Vorauskommando des Stabes der 7. Armee des LXXXV. AKs ein. Der Rest des Stabes war durch die alliierte Luftüberlegenheit und fehlenden Treibstoff aufgehalten worden und kam erst bis Süßenborn bei Weimar. Die Gespensterdivision bildete nun zusätzlich in der Gegend südlich Arnstadt aus Trossen und Feldersatz das Panzer-Grenadier-Regiment 111 neu auf. Die US-Truppen griffen am Morgen in breiter Front an. Die 89. US-Infanteriedivision rückte auf Rudisleben und Arnstadt sowie östlich auf Espenfeld zu. Die 90. US-Infanteriedivision erreichte Ilmenau und Neustadt. Die deutsche 11. Panzer-Division ging daher zurück auf vorbereitete Stellungen westlich Kranichfeld - ostwärts Marlishausen - südlich Stadtilm. Es ist davon auszugehen, dass sich die deutschen Verteidiger aus Crawinkel während des 10. Aprils fast komplett zurückgezogen hatten.
Neudietendorf erreichten die ersten amerikanischen Einheiten am 5. April 1945 von der Autobahn kommend. Sie zogen sich nach Anrücken einer Waffen-SS-Einheit mit fünf Panzern wieder nach Apfelstädt und Großrettbach zurück. Am 7. April kam es zu Gefechten zwischen Wehrmacht und Volkssturm sowie US-Truppen zwischen Apfelstädt und Neudietendorf, bei denen es Verluste auf beiden Seiten gab. Danach begann der Beschuss Neudietendorfs durch amerikanische Panzer- und Artillerie-Einheiten, mit Höhepunkt in der Nacht vom 8. zum 9. April 1945. 80 Häuser wurden zerstört oder beschädigt. Granaten zerstörten auch das Dach des Kirchensaales der Brüdergemeine. Der amerikanische Bodenangriff auf Neudietendorf begann am Morgen des 10. Aprils. Damit wurde der hartnäckige deutsche Widerstand bis zum Abend bis 10:30 Uhr gebrochen. (Quelle: wikipedia) In Neudietendorf fanden die Amerikaner im Keller der Riebeck Brauerei verschlossene Kisten mit amerikanischen Hollerith—Maschinen der Firma IBM, Vorläufer der heutigen Computer. Diese basierten auf einem patentierten Lochkartensystem um große Datenmengen zu verarbeiten. Diese Maschinen wurden u. a. in Konzentrationslagern oder auch zur Nachrichtenverarbeitung über Fernschreiber eingesetzt. Diese Maschinen gehörten zum Reichswehrministerium zur Vorbereitung einer Verlagerung nach Thüringen.
Seit dem Vormittag des 10. Aprils 1945 war in Erfurt das Näherrücken der Front aus Richtung Westen durch lautes Artilleriefeuer nicht mehr zu überhören. Das Ende des Krieges stand unmittelbar bevor, ohne dass sich die Bevölkerung ein klares Bild der Lage hätte machen können. Die Furcht vor einer Zerstörung der Stadt und dem eigenen Tode buchstäblich im letzten Moment trieb die meisten Menschen um. Wie Recht sie doch hatten. (Quelle: http://www.erfurt-web.de/Kriegsende_12._April_1945) Auch das Schicksal von Erfurt hing Anfang April an einem seidenen Faden. Die Royal Air Force plante ab für den 2. April 1945 einen vernichtenden Doppelangriff mit Flächenbombardements auf Erfurt. Der Angriff wurde 2-mal verschoben auf den 3. April und danach auf den 4. April. Es sollten gleichzeitig 685 schwere viermotorige Bomber der Typen Halifax und Lancaster angreifen und 2.740 Tonnen Bomben abwerfen. Erfurt entging dem Schicksal seiner Auslöschung dadurch, dass die Amerikaner kurzfristig wegen der Nähe ihrer Bodentruppen intervenierten. Sie standen am Abend des 3. Aprils bereits kurz vor Gotha und lagen nach der Einnahme von Gotha am 4. April nur noch etwa 15 km vor Erfurt. Es war durchaus damit zu rechnen, dass bei solchen Großangriffen Ziele nicht exakt getroffen werden und Bomben im Umland landen. Dadurch hätten amerikanische Panzer und Infanterie durch britische Bomben zu Schaden kommen können. Erfurt hat die Rettung indirekt General Patton zu verdanken, der darauf drängte, im Schnellgang Gotha und Ohrdruf zu erreichen. Diese Ereignisse gelten seitdem als der „größte Glücksfall der Stadtgeschichte“ von Erfurt. (Quelle: wikipedia)
Im KZ Buchenwald wurde seit Anfang April auf Weisung Heinrich Himmlers die Evakuierung des Lagers vorbereitet. Etwa 47.500 Häftlinge waren am 6. April 1945 im Konzentrationslager inhaftiert, 22.900 davon im Hauptlager, 18.000 in den Pferdeställen des Kleinen Lagers. Weitere Tausende waren über die Todesmärsche auf dem Weg in das Stammlager. 6.600 Juden waren schon am 5. April auf dem Gelände der Deutschen Ausrüstungswerke zusammengetrieben worden. Vom 7. bis 10. April 1945 wurden auf etwa 60 Routen 28.000 Menschen des Stammlagers und mindestens 10.000 Häftlinge der Außenlager das Konzentrationslager Buchenwald in Richtung der KZs Dachau, Flossenbürg und Theresienstadt verschleppt. Auf diesen Todesmärschen und „Evakuierungszügen“ starben zwischen 12.000 und 15.000 Menschen. (Quelle: wikipedia)
Am Vormittag des 10. April 1945 begann der Beschuss auf Oehrenstock erneut. Gegen 10 Uhr schlug ein Geschoss in der Dorfmitte in das Café Seeber ein, wodurch die Oehrenstöcker in Angst und Schrecken versetzt wurden. Zwei 16jährige Jungen in der Ilmenauer Straße namens Manfred Seeber und Gerhard Schumm diskutierten über den Beschuss und beschlossen, Initiative zu ergreifen. Sie wollten zum Bürgermeister gehen und die weiße Fahne auf dem Kirchturm hissen. Kaum war die weiße Fahne durch die Kirchturmsluke gesteckt, hörte der Beschuss auf. Die zwei Jungen verließen den Kirchturm und sahen auf dem Weg zurück zu ihren Elternhäusern, dass viele Leute ebenfalls weiße Fahnen an ihren Häusern angebracht hatten. Nach ca. 1 Stunde fuhr ein Panzerspähwagen der SS beim Bürgermeister vor. Der Kommandant befahl, die weißen Fahnen unverzüglich vom Kirchturm und den Häusern zu entfernen. Andernfalls ließe er das Dorf zusammenschießen. Der Bürgermeister musste anordnen, dass Manfred Seeber und Gerhard Schumm die weiße Fahne vom Kirchturm einziehen sollten. Letzterer aber weigerte sich aus dem Grund, dass der Beschuss der Amerikaner wiedereinsetzen würde. Daraufhin ging Manfred Seeber mit Rudi Schrickel erneut auf den Turm und zog mit ihm die Fahne ein. Gegen 16 Uhr marschierten amerikanische Truppen vom Wildberg und Heidelberg her in Richtung Oehrenstock ein. Haus für Haus wurde durchsucht und einige Häuser belagert. (Quelle: http://heimatverein.oehrenstock.de/GSchumm.htm)
Das 355. und das 354. US-Infantrieregiment der 89. US-Infantriedivision erreichten jeweils Rudisleben bzw. das Jonastal und Espenfeld. Gegen schwachen Widerstand wurden bis 12 Uhr Mühlberg, Röhrensee, Holzhausen und Rehestädt eingenommen. Ab Mittag wurde ebenfalls die Übergabe von Arnstadt verhandelt. Bei Anbruch der Nacht war Arnstadt besetzt. Das 345. US-Infantrieregiment nahm Stutzhaus ein und rückte weiter vor bis in die Umgebung von Crawinkel. Das 247. US-Infanterieregiment erreichte Geraberg. Beide Regimenter gehörten zur 87. US-Infantrie Division. (Quelle: Möller)
Irmtraut Böttner aus Crawinkel erinnerte sich: „Die letzten 4 Kriegstage vom 7. bis 10. April hatten unserem Heimatort den Todesstoß versetzt. Es gab ringsum nur noch Schutt und Asche. Ein sehr trauriges Ereignis habe ich persönlich erlebt uns das macht mich heute noch betroffen. Der serbische Kriegsgefangene Michael, der bei Arno Kloß an der Schwemme als Hilfe in der Landwirtschaft zugeteilt war, wollte zu seinen Kameraden zu Alexander Großgebauer an der Ecke Lämchenplan. Auf Höhe der Schmiede in der Ohrdrufer Straße ist er in den Beschuss der Tiefflieger geraten, wodurch er am Bein verwundet wurde. Er hat sich trotz Verletzung bis zum Haus der Familie Karnstädt gerobbt. Unser Großvater Reinhardt und mein Cousin Dankmar Karnstädt hatten ihn zu uns hereingeholt und in der Stube auf das Sofa gelegt. Im Pfarrhaus war noch ein Notlazarett der Wehrmacht untergebracht. Mein Cousin hat dort Hilfe geholt und Michael wurde von den Sanitätern behandelt. Das Bein musste aller paar Stunden behandelt werden, damit er überleben konnte. Als die Sanitäter mit den letzten Soldaten des Rückzuges abgezogen waren, gab es für ihn keine Hilfe mehr. Kurz vor dem Einzug der Amerikaner ist er an seiner Verwundung gestorben. Sein Grab befindet sich auf dem Crawinkler Friedhof neben dem Mahnmal.“
Frau Ratschker flüchtete vor den amerikanischen Angriffen zusammen mit anderen Einwohnern in die Keller der Familie Hermann Beck im Friedrichsanfang. Am 10. April, dem letzten Kriegstag in Crawinkel, erblickte dort auch ihr Kind das Licht dieser geschundenen Welt. Der 10. April war es auch, der das letzte zivile Opfer in Crawinkel forderte: Elisa Hofmann, geb. Mey, wollte während eines Luftangriffes unbedingt noch das Klavier aus ihrem Haus retten. Ein Bordwaffengeschoß zerfetzte die Lungenschlagader und sie verblutete. So hielt der Tod in vielen Familien Ernte und so eng fügte sich das Schicksal auch Tod und Geburt am letzten Kriegstag zusammen! (Quelle: Leffler)
Am Morgen trafen sich immer mehr Menschen im Wald über dem Ortsteil Friedrichsanfang. Ihr Aussehen spiegelte wider, was sie erlebte hatten. Erschöpft und übernächtigt erzählten sie, dass es furchtbare Stunden und Tage gewesen sind, die sie nie wieder erleben möchten. Gegen 13:30 Uhr begannen die Einwohner wieder zurück ins Dorf zu gehen. Die Gefechte verlagerten sich mittlerweile in den umliegenden Wald. Während Crawinkel weiter beschossen wurde, kehrten viele Einwohner an den Rand des Dorfes in die Häuser zurück. Am Abend des 10. Aprils endete gegen 22 Uhr plötzlich der Artilleriebeschuss auf Crawinkel. Kurze Zeit später rückte eine erste amerikanische Vorhut in der Bahnhofsgegend sowie vom Kienberg aus auf Crawinkel vor. Die letzten deutschen Truppen hatten den Ort bis dahin längst verlassen. Gleichzeitig rückten die US-Einheiten in der Nacht auch auf Gossel vor. Marianne Ballenberger war zusammen mit anderen im Keller der Familie Hermann Beck im Friedrichsanfang. Hier pochten gegen 23 Uhr die ersten Amerikaner eines Vorauskommandos an die Türe. Die Frauen hatten vor allem Angst um die wenigen anwesenden Männer im wehrfähigen Alter und befürchteten deren Verhaftung. Onkel Paul wurde daher schnell unter einem Haufen Decken versteckt. Die Vorhut hatte sich aber nur auf wenige Häuser beschränkt und es passierte nichts weiter.
In der Nacht vom 9. zum 10. April stand Arnstadt erneut unter starkem Beschuss. Die Luftschutzkeller wurden wieder aufgesucht. Nach einem kurzzeitigen Nachlassen, setzte gegen 10:00 Uhr der Beschuss wieder ein, diesmal bereits mit MG’s und Panzergeschützen. Dabei wurde der Wasserturm getroffen, der natürlich auslief. Das auslaufende Wasser strömte u. a. auch in den Krankenhausbunker, der deshalb geräumt werden musste. Das Stofflager im Stadttheater wurde geöffnet und jetzt begann etwas, was wohl kein Mensch glauben mag. Die Leute rannten trotz des heftigen Beschusses der Stadt ins Theater und nun mit Stoffballen und Wäschestücken beladen durch die Stadt, kreuz und quer. Kreisleiter Mütze ließ noch am 10. April die HJ vom Arnsberg aus auf die amerikanischen Panzer schießen und veranlasste dadurch die Angreifer mit ihren Geschützen in diese Richtung zurückzuschießen, wobei die Häuser Gothaer Straße 25, 27 und 31 schwer beschädigt wurden. Infolge des von Mütze organisierten Widerstandes fielen noch auf Arnstadt 82 Artilleriegeschosse, die in und an den Häusern des westlichen Stadtteils beträchtlichen Schaden anrichteten. Vier Kinder und sieben Erwachsener mussten dies mit ihrem Leben bezahlen.
Nachdem der Nazi-Kreisleiter Mütze geflohen war, wurden weiße Fahnen auf den Häusern in Arnstadt gehisst. Um 12:30 Uhr brachen die ersten amerikanischen Panzer vom Westen aus Richtung von der Alteburg, vom Wasserturm vom Arnsberg kommend in die Stadt ein. Die US-Soldaten begannen damit, Haus für Haus zu kontrollieren. Als die Arnstädterinnen, Männer waren kaum noch da, zum ersten Mal einen „Feind“ vor sich sahen, mussten sie feststellen, daß dies keineswegs mordgierigen Bestien waren. Es handelte sich vielmehr um ganz normale Menschen, die genauso aussahen, wie ihre eigenen Söhne, Männer oder Väter, wenn man einmal von den farbigen Soldaten und den Uniformen absah. Am 10. April nahmen Einheiten der 89. US-Infanteriedivision Arnstadt ein. Unter schwerem Artilleriefeuer der amerikanischen Truppen lagen Cottendorf, Gräfinau, Pennewitz, Gehren, Herschdorf, Willmersdorf und Friedersdorf.
(Quelle: https://www.arnstadt.de/fileadmin/Arnstadt/Stadt_und_Verwaltung/Stadtportrait/Arnstadt_Chronik/Arnstadt-Chronik-Band-2.pdf)
Der Arnstädter Friedemann Behr erinnerte sich: „Aus Panzerkanonen wurde Arnstadt beschossen. Fünf Tage lang, immer nur jede halbe Stunde ein Treffer. An der Kirche und am Markt entstand großer Schaden. Die Arnstädter saßen im Keller. Wir haben das Kriegsende im Marienstift erlebt. Keiner traute sich nach oben, weil noch geschossen wurde. Nachmittags um 15 Uhr gab es die letzten Schüsse, dann marschierten die Amerikaner ein. Für den Großteil der Bevölkerung und für uns persönlich war es eine große Befreiung. Wir waren Pfarrersleute und mein Vater hatte Schwierigkeiten mit der Gestapo. Doch das Soldatenbild der Amerikaner war ein vollkommen anderes, als wir es kannten. Die Soldaten hatten keine Stiefel, sondern Schnürschuhe mit weichen Krepp-Sohlen. Alle Bewohner mussten ihre Waffen und Fotoapparate an die Amerikaner abgeben. Und natürlich gab es Ausgangssperren, vormittags und nachmittags durfte man nur zwei Stunden raus, und sonst nicht.
(Quelle: https://www.mdr.de/thueringen/kultur/buchenwald-gedenken/kriegsende_friedemann_behr100.html)
Das nachfolgende Video (ohne Ton) zeigt die Besetzung von Arnstadt aus Richtung Crawinkel/ Jonastal. Zu diesem Zeitpunkt wurde in Crawinkel noch gekämpft.
Klaus-Peter Schambach
Förderverein Alte Mühle e.V.