Die beinahe Zerstörung von Crawinkel - Kriegstagebuch: 6. April 1945
(Aktueller Stand 4.4.2022)
Das Ultimatum zur Kapitulation von Eisenach verstrich am Abend des 5. April 1945 auch nach einer letzten Flugblatt-Abwurf-Aktion („dem Erdboden gleichgemacht“) ungenutzt. Daraufhin erfolgten in der Nacht am 6. April ab 2:00 Uhr nachts bis morgens 6:30 Uhr ein heftiger Artillerie-Beschuss mit über 5.000 Salven, vor allem vom Wartenberg aus. Besonders das Südviertel hatte zu leiden und das schon beschädigte Bachhaus erhielt einen Volltreffer, wie viele andere Gebäude auch. Viele Eisenacher waren danach kriegsmüde und erschöpft. Sie begannen an ihren Häusern weiße Fahnen aus Bettlaken und Tischdecken aufzuhängen. Auch aus den Fenstern der Wartburg waren große weiße Fahne herabgelassen. Es dauerte danach nicht mehr lange, bis in den Morgenstunden amerikanische Fahrzeuge vom Westen kommend die Stadt besetzten. Die Reste der deutschen Verteidigung hatten sich da bereits zurückgezogen und die Kämpfe um Eisenach waren vorüber. Die Amerikaner bezogen in der Stadt Quartier. Viele Bewohner berichten von einem guten Verhältnis zu den fremden Soldaten, das durch großzügige Lebensmittel-Gaben verstärkt war. Die amerikanischen Truppen bewegten sich nach Eisenach weiter auf die Umgebung von Waltershausen zu. Reste der deutschen 11. Panzerdivision verteidigten von nun an den Raum von Friedrichroda bis Oberhof, aus dem sie sich immer mehr zurückziehen mussten sowie nach und nach aufgerieben wurden.
Kameramänner des US-Army Signal Corps, Fernmeldespezialisten des amerikanischen Heeres, trafen im Ohrdrufer Konzentrationslager ein und fingen sofort an Aufnahmen vom Lager anzufertigen. Sie filmten unteranderem, wie Colonel Hayden Sears mit einer Gruppe von Überlebenden des Konzentrationslagers Ohrdruf sprach. Sie hatten sich im Wald versteckt, bis die Deutschen flüchteten. Die Amerikaner filmten und fotografierten den Appellplatz, der übersät war mit 31 erschossenen tschechoslowakischen, russischen, belgischen und französischen Häftlingen. Sie waren zu schwach, um evakuiert zu werden. In einem Schuppen fotografierten sie einen Stapel von 44 nackten und mit Kalk bedeckten Körpern.
Am 5. April wurden im Nachbarort Wölfis und in Crawinkel von Einwohnern die weißen Fahnen gehisst. Einen Tag später erfolgte am 6. April durch amerikanische Patrouillen die kampflose und problemlose Einnahme des Nachbarortes durch amerikanische Panzer. Die Infanterie rückte einen Tag später mit einer Vielzahl an Fahrzeugen nach. Dankmar Leffler aus Crawinkel erinnert sich, dass sich etwa 8 Mann der 6. SS-Gebirgsjägerdivision Nord im Haus seiner Eltern einquartiert hatten. Dies waren versprengte Reste der Division, die am 3. April im Südosten Hessens vollständig zerschlagen wurde. Es ist nicht richtig, dass die ganze Division Crawinkel und das Jonastal verteidigte. Im Garten stand ein deutscher Panzer und weitere Fahrzeuge im Hof des letzten Hauses in Richtung Wölfis – strategisch sehr günstig. Die Familie verbrachte die nächsten Tage nur noch im Keller auf Matratzen, während die SS im Haus regierte. Mit dem Fernglas konnte man die in Wölfis patrouillierenden US-Soldaten beobachten. Einige spielten auch Fußball mit Jugendlichen aus Wölfis. Die SS im Haus diskutierte derweilen, was jetzt wohl die Amis in Wölfis gerade „fressen“. Schließlich kam es zu einer Wette und einer aus der Truppe machte sich spät nachts allein auf den Weg, um die amerikanischen Fahrzeuge in Wölfis zu plündern. Am nächsten Morgen stand der Verrückte voll beladen mit Schokolade und sonstigen Lebensmitteln wieder in Crawinkel, ohne dass er bemerkt wurde. Dankmar war dadurch vermutlich der erste Crawinkler, der amerikanisches Corned-Beef gegessen hatte.
In Crawinkel wurde im Gegensatz zu Wölfis drei Mal vergeblich von Einwohnern versucht, auf dem Kirchturm die weiße Fahne zu hissen. Dies misslang, weil verschiedene deutsche Einheiten den Abzug der Truppen aus dem Rennsteiggebiet über Crawinkel absicherten. Immer wenn die Fahne hing, wurde sie von der SS heruntergeholt. Einige Einwohner setzten dabei ihr eigenes Leben aufs Spiel, um den Ort zu retten. Neben Fahrzeugkolonnen, Infanteriezügen, Geschützen und Panzerwagen wurden nach Aufzeichnung der Feuerwehr Frankenhain auch Pferde- und Kuhherden beim Rückzug mitgeführt. Für den Abzug wurden im Ort auch weitere Pferdegespanne mit gummibereiften Langholzwagen samt Geschirrführer beschlagnahmt. Die amerikanischen Truppen griffen immer wieder an und warfen Bomben sowie die besonders gefürchteten Brandkanister von Jagdbombern ab. Deutsche Panzer waren bei solchen Angriffen an der Rumpel (Straße nach Oberhof), am Sauweg (Waldweg oberhalb Friedrichsanfang zum Kienberg) und an der Straßengabelung der heutigen B88 nach Wölfis zerstört worden. Auch im Ort selbst blieben zerschossene Panzer und Wehrmachtsfahrzeuge stehen, die dann immer wieder zur Zielscheibe wurden. Am 5. April kam es auf der Straße zwischen Oberhof und Crawinkel am Eisenberg zu einem Gefecht. Erneut wurden Brandkanister eingesetzt, die oft ihr Ziel verfehlten und unterhalb der Straße im Wald landeten. In der Nähe des bekannten Ausflugszieles „Linzens Ruh“ brannte der Wald an mehreren Stellen gleichzeitig und die Feuerwehr aus Frankenhain musste zum ersten aber nicht zum letzten Mal in diesen Kriegstagen ausrücken. Da beim Luftangriff auch ein mit Granatwerfermunition vollbeladenes deutsches Panzerfahrzeug getroffen wurde, waren die Löscharbeiten sehr erschwert und gefährlich. Stundenlang bis zum Abend detonierten die Granaten im lichterloh brennenden Panzerwagen. Das Schauspiel wiederholte sich am 6. April auf der Straße von Crawinkel nach Frankenhain. Die Fahrzeugkolonnen wurden mit Bordwaffen beschossen. Es gab viele Tote und zahlreiche zerstörte Fahrzeuge.
(Überwiegend zitiert aus Zweiter Weltkrieg um Crawinkel, Dankmar Leffler 2003, Heft Nr. 2).
Am Morgen des 6. Aprils besetzten Wehrmachtseinheiten Crawinkel und gingen unter anderem mit Panzern in Stellung. Jetzt wurde deutlich, dass Crawinkel verteidigt werden sollte/musste. Aber warum? Am Nachmittag hatten die mutigen Crawinkler Armor Kloß und Hans Berkes nochmals auf dem Kirchturm in einem unbeobachteten Moment die weiße Fahne gehisst. Mehrere Einwohner folgten diesem Signal und hängten auch weiße Tücher und Fahnen an ihre Häuser, während Luftwaffeneinheiten durchs Dorf zogen. Frau Lisa Marwede hatte ebenfalls ein großes Leinentuch am Fenster ihres Hauses in der Ohrdrufer Straße befestigt. Der Hauptmann der Einheit hielt mit seinem Fahrzeug an und fragte die vor dem Haus stehenden Personen, wer dieses Tuch angebracht hätte. Ohne Argwohn meldete sich daraufhin Frau Marwede. Plötzlich brüllte er sie an, dass das eine Schweinerei und Verrat sei. Er befahl ihr, sich mit dem Gesicht zur Hauswand zu wenden, damit er sie abknallen könne. Nur durch das Eingreifen von Inge Ratschker wurde das Schlimmste verhindert, die schützend vor ihre Schwester trat und auf den Kirchturm zeigte, wo ebenfalls das weiße Tuch der Kapitulation und Hoffnung hing. Frau Ratschker war kurz vor der Niederkunft, was den Offizier zu der Äußerung veranlasste: „Wenn der weiße Fetzen nicht gleich verschwindet, knalle ich euch beide nieder. Da kann dich auch dein dicker Wanst nicht retten.“ Erst als die Fahne eingeholt war, fuhr der Hauptmann weiter. Was hatte nur der Nationalsozialismus und der Krieg aus den Menschen gemacht.
Neben SS tauchten auch halbwüchsige Hitlerjungen im Ort auf, die aus Berlin gekommen sein sollen. Zur Beobachtung und Abwehr anfliegender Aufklärer und Jagdbomber richtete man auf dem Kirchturm ein Maschinengewehrnest ein. Nach dem ersten Beschuss räumte die MG-Schützen auf dem Turm fluchtartig ihre sprichwörtliche „Himmelfahrtsstellung“. Am alten Erfurter Weg, einer vermuteten östlichen Angriffslinie der Amerikaner in Richtung Gossel und Jonastal sowie an der Straßengabelung nach Ohrdruf – Wölfis wurden ebenfalls schwere Maschinengewehre in Stellung gebracht. Sie hatten als Schussfeld die Wiesenfläche zwischen Crawinkel und Wölfis. Die Hitlerjungen patrouillierten mit Panzerfäusten an den Ortsausgängen nach Oberhof, Luisenthal und Ohrdruf. Im Ort wechselten sich deutsche Panzer, Flak-Stellungen und Geschütze ab. Die Flugabwehrkanonen konnten auch auf Bodenziele gerichtet werden.
Am 6. April durchzogen größere Häftlingskolonnen die Stadt Arnstadt. Der Marsch in Viererreihen dauerte einen ganzen Tag. Er ging als der „Todesmarsch“ in die Geschichte ein. Die Stadt sollte auf keinen Fall kampflos in die Hände der Amerikaner fallen. Am 7. April war von Waldkämpfen bei Arnstadt die Rede. Der Landrat des Kreises Arnstadt war am 8. April plötzlich verschwunden. Dr. Herwig hatte nun die heikle Aufgabe übernommen, das Amt weiterzuführen. Die in Arnstadt befindlichen Kriegsgefangenen hatten jetzt die Gunst der Stunde erkannt und begannen am 9. April mit der Plünderung von Läden. Keiner wagte es, sich ihnen entgegenzustellen. Die Lebensmittelläden (Fleischer, Bäcker, Molkereigeschäfte) hatten den Befehl erhalten, ihre Waren an die Bevölkerung zu verteilen. Auch aus dem Theater, welches zum Militärlager umfunktioniert worden war, gab es bis 20:30 Uhr Waren wie Hemden, Unterhosen, Strümpfe, Schals und vieles mehr für die Männer. (Quelle: https://www.arnstadt.de/fileadmin/Arnstadt/Stadt_und_Verwaltung/Stadtportrait/Arnstadt_Chronik/Arnstadt-Chronik-Band-2.pdf)
Klaus-Peter Schambach
Förderverein Alte Mühle e.V.