Die beinahe Zerstörung von Crawinkel - Kriegstagebuch: 4. April 1945
(Aktueller Stand 4.4.2022)
Im Morgengrauen des 4. Aprils stoppten die Amerikaner den Beschuss auf Gotha, nachdem die weißen Fahnen auf dem Schloss Friedenstein und dem Rathaus gesichtet worden waren. Einen Tag zuvor erreichte die 4. Panzerdivision der 3. US-Armee den Krahnberg bei Goldbach und bereitete den Angriff auf Gotha vor. Der Wehrmachtsstandortälteste und Kampfkommandant Gothas, Oberstleutnant Josef Ritter von Gadolla, wiedersetzte sich dem Befehl, den ihm übertragenen Standort bis zum Tode zu verteidigen. Er schickte die Reste des einheimischen Volkssturms nach Hause und gab zum Schutze der Zivilbevölkerung den Befehl, die Kapitulation vorzubereiten. Zur Übermittlung der Kapitulation fuhr von Gadolla persönlich gegen 19:00 Uhr in Begleitung mit weißer Armbinde und weißer Fahne den amerikanischen Panzerspitzen entgegen. Kurz vor Erreichen der Frontlinie wurde er bei Boilstädt von deutschen Soldaten des motorisierten Flak-Bataillons 59 abgefangen und verhaftet. Noch in der Nacht des 3. Aprils wurde er nach Weimar überführt. Am nächsten Morgen erfolgte auf seinen Befehl gegen 9:00 Uhr die förmliche, kampflose Übergabe der Stadt an die Amerikaner. Gadolla ersparte unserer Kreisstadt so die Zerstörung und den Einwohnern unendliches Leid.
Eine Legende des Tages besagt, dass Gotha nur durch Glück einem gewaltigen Flächenbombardement entkam. Nur wenige Minuten vor dem Luftangriff sollen die amerikanischen Belagerer die anfliegenden britischen Bomberbesatzungen über Funk aufgefordert haben, den Angriff abzubrechen. Danach sollen die schweren Bomber nach Nordhausen umgeleitet worden sein, um dort ihre tödliche Fracht abzuwerfen. Tausende Nordhäuser kamen ums Leben. Dieser Darstellung muss nach aktuellem Wissensstand widersprochen werden. Belegbar ist der Überflug der Bomber über Gotha und laut Zeugen augenscheinlich auch über Crawinkel. Der Himmel war voller Flugzeuge und das Dröhnen weithin zu hören. Der Einsatzbefehl der 5., 8. und 11. Group der britischen Royal Air Force galt aber bereits vor dem Start der Boelcke-Kaserne und dem Stadtkern von Nordhausen. Um 9:08 Uhr warf der erste Masterbomber über der Kaserne die Zielmarkierungsbomben ab und der geplante Großangriff begann. Die Verschonung der Stadt Gotha durch die Bomber lässt sich mit den verfügbaren Quellen nicht nachweisen. Der Funkspruch aus Gotha gilt als real. Ob er aber von den alliierten Piloten überhaupt zur Kenntnis genommen wurde, bleibt unbekannt. Ein solcher Angriffe hätte auch mit Sicherheit amerikanischen Soldaten das Leben gekostet.
Die ersten amerikanischen Einheiten erreichten am Abend des 4. Aprils 1945 das Nordlager auf dem Truppenübungsplatz Ohrdruf mit dem Ziel, am nächsten Tag die Stadt und die Umgebung abzusichern. Noch kurz bis zuvor versuchte die SS die Spuren ihrer Gräueltaten im Konzentrationslager Ohrdruf zu verschleiern. Sie beseitigten Zeugen und erschossen marschunfähige Häftlinge. Weiterhin gruben sie die geschundenen Körper ermordeter Häftlinge aus dem Massengrab aus, um diese auf einem provisorischen Scheiterhaufen zu verbrennen. Das ganze Ausmaß der Verbrechen gegen die Menschlichkeit sollte erst am nächsten Tag so richtig deutlich werden.
Das Hauptziel des amerikanischen Vorstoßes war mit Ohrdruf erreicht. Eigentlich sollte der Angriff auf Mitteldeutschland erst erfolgen, nachdem die Zerschlagung des Ruhrkessels erfolgreich abgeschlossen war. General Patton überzeugte aber die Angriffsplaner der US Army, dass ein vermutetes deutsches Hauptquartier bei Gotha zu erobern ist. Ein desertierter deutscher Hauptmann berichtete zuvor von der Existenz einer Nachrichtenzentrale im Raum Ohrdruf. Die Chance wurde real, ein deutsches Hauptquartier als strategisches Ziel zu besetzen und die deutsche Verteidigung empfindlich zu treffen – vielleicht sogar den Krieg vorzeitig zu beenden und Hitler gefangen zu nehmen? General Eisenhower, Oberbefehlshaber aller alliierten Streitkräfte in Europa, teilte aber die Bedenken der 1st Allied Airborne Army, welche die Einnahme durch einen Sprungeinsatz im Herzen von Thüringen als zu riskant ablehnte. Daher erhielt Patton am 31. März 1945 die Erlaubnis innerhalb einer 24 Stunden Operation von Hessen aus das Thüringer Hauptquartier in Ohrdruf zu besetzen. Das Zielgebiet wurde als das s.g. „Weimarer Viereck“ (Gotha – Ohrdruf- Erfurt – Weimar) bezeichnet. General Patton griff sofort an ohne Unterstützung und Absicherung seiner Flanken im Norden und Süden durch verbündete Einheiten. Da die Werra und die Verteidigung bei Creuzburg zu viel Zeit in Anspruch nahmen, konnte Patton den kühnen Plan nicht halten und das vermutete Führerhauptquartier und das Nachrichtenamt Olga nicht wie angestrebt im Handstreich erobern. Im Inneren hatte er wohl auch nicht wirklich daran geglaubt, dass 24 Stunden wirklich ausreichen, um einen so großen Raumgewinn vorzunehmen. Unter Ausnutzung der Autobahn und durch Umgehung von Eisenach konnten die Panzerkeile der 3nd US Army trotzdem einen extrem schnellen Vorstoß auf Gotha und Ohrdruf vornehmen. Ohne Widerstand fuhren die Angreifer von Gotha über Siebleben und Wandersleben in den Raum Mühlburg. Vorauskräfte erreichten die Höhe 424 nordöstlich von Ohrdruf und hielten dort die Stellung. Gegen Mittag erreichten Aufklärer den Raum Schwabhausen und weitere Kräfte drangen ohne Widerstand bis Wechmar und später bis nach Ohrdruf vor. Für die nächsten 6 Tage sollte es vom 5. April bis 10. April zum vorläufigen Halt des Vorstoßes kommen. Ausruhen war angesagt, Stellungen rund um Ohrdruf ausbauen, Nachschub und ausgeruhte Kräfte heranführen und die offenen Flanken schließen.
Die weiter zurückweichenden deutschen Einheiten flüchteten über Crawinkel und wurden täglich von Tieffliegern beschossen. Diese flogen knapp über die Dächer und schossen auf alles, was sich bewegte. Lange Militärkonvois kamen seit einigen Tagen täglich über Ohrdruf nach Crawinkel. Die Hauptstraßen waren regelrecht verstopft. Einige Einwohner wurden aus ihren Häusern und Kellern vertrieben oder bekamen deutsche Soldaten zur Einquartierung. Diese richteten sich oft gemütlich ein und schliefen in den Betten, während die Hausbesitzer notdürftig im Keller unterkamen. Die Soldaten aßen die Lebensmittelvorräte auf und tranken, was vorher nicht mehr rechtzeitig versteckt werden konnte. Um den Ort wurden Stellungen zur Verteidigung angelegt und einzelne Geschütze in Stellung gebracht. Die rund 8 Kilometer zwischen den beiden Ortskernen von Ohrdruf und Crawinkel trennten von nun ab Krieg und Frieden voneinander. (Das angehängte Foto stammt nicht ganz aus den letzten Kriegstagen. Es dient lediglich zur Veranschaulichung des Textes und der Stimmung kurz vor den Hauptangriffen auf Crawinkel.)
Klaus-Peter Schambach
Förderverein Alte Mühle e.V.