Die beinahe Zerstörung von Crawinkel - Kriegstagebuch: 7. April 1945
(Aktueller Stand 4.4.2022)
Am 7. April 1945 erfolgte ein deutscher Gegenangriff bei Struth und Dörna in der Nähe von Mühlhausen. Die schwersten Kämpfe auf Thüringischen Boden fanden statt, die zahlreichen Todesopfer auf beiden Seiten forderten. Mit gepanzerten Kampftruppen wollten die deutschen Verteidiger den Vormarsch der Amerikaner nördlich an der Flanke treffen und damit das weitere Vordringen der US-Soldaten nach Osten stören. Weiterhin sollten auf diesem Weg starke deutsche Kräfte im Norden vorgetäuscht werden. Am frühen Morgen um 2:30 Uhr begann der deutsche Vorstoß auf Struth. Der nächtliche Angriff überraschte die Amerikaner und die Einwohner ebenso. Die deutschen Soldaten kämpften sich von Haus zu Haus vor. Für die Bewohner von Struth war es eine unheilvolle Situation, denn viele hatten ihren Wohnraum geräumt oder mit den Besatzern geteilt. Um 6:30 Uhr begann der Hauptangriff der Deutschen, der unter großen Verlusten für die Angreifer geführt wurde. Viele der Bewohner flüchteten aus dem Ort in die nahen Wälder: "Wir hatten Angst und mussten fort ins Holz, drei Tage haben wir im Wald geschlafen. Auf einem kleinen Handwagen hatte mein Vater Federbetten mitgenommen", berichtet Elfriede Hechler, "da waren mehrere Leute, viele kleine Kinder, die haben geweint, weil sie Hunger hatten." Gegen 8:00 Uhr war ein Drittel von Struth von deutschen Soldaten zurückerobert, doch der Widerstand der Amerikaner blieb hartnäckig. Gegen 9 Uhr erreichte alliierte Luftunterstützung den Kampfplatz, die die deutschen Truppen nordwestlich mit Bomben und Bordwaffen beschoss. Die deckungslose deutsche Infanterie verblutete auf dem Gelände. Den Panzern blieb nur der Rückzug. An mehreren Stellen wurde erbittert weitergekämpft, doch den deutschen Truppen fehlte der Rückhalt. Am stärksten litt die Moral der Deutschen, als sie sich der Überlegenheit des Gegners und Sinnlosigkeit des Kampfes bewusstwurden. Danach erkämpften sich die Amerikaner in Struth im Nahkampf Haus um Haus zurück. Der letzte deutsche Widerstand endete gegen 14:30 Uhr. Aus Angst vor Wehrwolf-Aktionen, zu denen Heinrich Himmler im September 1944 aufgerufen hatte, zündeten die US-Soldaten anschließend die Gebäude an. Die Kämpfe führten zu einer Kriegstragödie mit 300 Toten, davon 255 deutsche und 50 amerikanische Soldaten sowie zahlreiche Zivilisten. Viele der deutschen Soldaten waren unter 20 Jahren. Als die Bewohner zurückkehrten, fanden 65 Familien ihre Häuser niedergebrannt und in den Trümmern Leichen der Soldaten. (Internet: www.mdr.de)
Gleichzeitig griffen am 7. April die amerikanischen Einheiten im Abschnitt der deutschen 11. Panzerdivision bei Bad Tabarz an. Nach heftigen Kämpfen gelang es ihnen in Tambach und Friedrichroda einzudringen. In einem Waldstück in der Nähe von Finsterbergen wurden 15 Wehrmachtssoldaten von SS-Männern erschossen, weil sie sich freiwillig in Kriegsgefangenschaft begeben wollten. Des Weiteren fielen weitere 15 Wehrmachtssoldaten im Kampf. Amerikanische Einheiten drangen vermutlich von Ohrdruf aus über Gräfenhain bis nach Georgental vor. Damit wuchs für die 11. Panzerdivision die Gefahr, eingekesselt zu werden. Der Divisionsstab und die verbliebenen Truppen mussten umgehend verlegt werden. Aber wohin konnten sie noch?
Am Morgen des 7. Aprils wurde die Fahne auf dem Kirchturm wieder von einigen Panzersoldaten eingeholt. Kurz darauf erfolgte auch der erste erfolglose Einnahmeversuche amerikanischer Bodentruppen in Richtung Crawinkel, der von den Verteidigern ohne Mühe abgewehrt wurde. Der Angriff wurde eher halbherzig durchgeführt vermutlich in der Erwartung, dass sich Crawinkel ähnlich kampflos ergibt wie Wölfis. Grundsätzlich bestand weiter der Haltebefehl auf der Linie Oberhof – Ohrdruf – Gotha, bis der Nachschub und die US-Truppen auf den Flanken nachgerückt waren. In den nächsten Tagen bis zum 10. April wurden aber so nach und nach weitere Dörfer besetzt, die keinen großen Widerstand leisteten. Die Amerikaner versuchten entlang der Straße von Wölfis nach Crawinkel vorzustoßen. Die MG Stellungen und Panzer am Ortsausgang wehrten den Angriff aber ab. Ein zweiter Versuch der Einnahme mit Bodentruppen endete mit dem gleichen Ergebnis. Der Angriff erfolgte östlich entlang des alten Erfurter Weges und kam zunächst weiter voran, so lange die Amerikaner den Busch- und Baumbestand entlang des von Crawinkel kommenden Schillbachs als Deckung nutzen konnten. Mit Erreichen des freien Wiesengeländes kamen sie aber in das Schussfeld der schweren Maschinengewehre und zogen sich schließlich erneut zurück.
Kurz danach setzte ein verstärktes Bombardement durch Jagdbomber auf Crawinkel ein, dass nur vom Artilleriebeschuss aus Richtung Gräfenhain/ Ohrdruf unterbrochen wurde – beides wechselte sich von nun an ständig ab und auch in der Nacht gab es keine Feuerpause mehr. Die amerikanischen Geschütze standen in Ohrdruf an der Kreuzung Crawinkler Straße – Goldbergstraße und am Teiler in Hohenkirchen und feuerten in Richtung Crawinkel aus allen Rohren. Die Geschosse flogen teilweise mit lautem Pfeifton über Ohrdruf hinweg. Dabei kam es auch zu Einschlägen in Ohrdruf. Getroffen wurden die Häuser im Scherershüttenweg 4, das Haus der Hebamme Möller in der Trinitatisstraße und ein weiteres Haus in der Adolf-Schauder-Straße Ecke Friedrichstraße. Ein weiterer Querschläger durchschlug im „Erbprinzen“ die Fensterreihe unterm Dach. (Buch: „100 Jahre Truppenübungsplatz; Manfred Ständer, Peter Schmidt)
In Crawinkel wiederum fielen die ersten Bomben am Backhausplan, auf die Quergasse, Schenksgasse und Schulgasse. Das war der Beginn einer neuen Offensive, wodurch die ersten Opfer in der Bevölkerung zu beklagen waren. Es gab von da an scheinbar keine Verschonung und Hoffnung mehr. Die Einwohner suchten Schutz in Kellern, in den offenen Stollen und den Baracken im Jonastal sowie in den umliegenden Wäldern. Die Familie von Dankmar Leffler musste das Haus verlassen. Sie kamen in der alten Schule am Markt unter. In dem feuchten und muffigen waren viele Leute und wenn draußen wieder ein Angriff erfolgte, war oftmals Panik im Keller. Alle zitterten und jammerten. Durch die kleinen Kellerfenster drangen nach Einschlägen in der Nähe Dreck und Staub ein, so dass sie sich Tücher vor das Gesicht binden mussten. Als sie in einer Feuerpause nach ihrem Haus sehen wollten, stand die gegenüberliegenden Häuser der damalige Drogerie Mäder in Flammen. Sie waren glücklich, dass ihr Haus noch stand. Aber das Dach war weg, nachdem eine Luftmine das Haus von Erich Sauerbrey in der Quergasse vollständig zerstört wurde. Einer der SS-Leute meinte sarkastisch: „Nun habt ihr ja, was der Führer versprochen hatte: Licht, Luft und Sonne in jeder Wohnung!“ Über diesen Scherz konnten zumindest die Eigentümer und nun Obdachlosen nicht lachen. Im Keller der Schule wurde es immer unsicherer, weil der benachbarte Kirchturm offensichtlich ein Hauptzielpunkt für die Amerikaner war. Daher siedelte die Familie in die Keller der Familie Hermann Beck im Friedrichsanfang um. Man half sich im Ort, so gut es ging.
Fast 11 Jahre zuvor wurde ab 1934 heimlich direkt im Wald zwischen Wölfis und Crawinkel eine Munitionsanstalt errichtet, in der ab 1935 Bomben und Munition für die Luftwaffe produziert und gelagert wurden. Am 26. August 1939 fuhren voll beladene Munitionszüge am Bahnhof Crawinkel zu den Einsatzorten für den Angriff auf Polen. Der Zweite Weltkrieg begann und die Abwurfmunition aus der Luftmunitionsanstalt 1/IV Crawinkel brachte von da an Zerstörung, Tod und Elend über die Grenzen des Dritten Reiches hinaus zu unseren europäischen Nachbarn. Das Gelände der L-Muna wurde während des Krieges nicht angegriffen und das „Pulverfass“ mit Munitionsbeständen fiel weitestgehend unversehrt in die Hände der Alliierten. Mit den durchgeführten Angriffen auf Crawinkel hatten die Muna wie auch die Baustelle im Jonastal nichts weiter zu tun. An Tragik war das folgende Schicksal von Crawinkel aber kaum zu überbieten. Ab jetzt konnten die Einwohner am eigenen Leib, Haus und Hof verspüren, welche Wirkungen die verschiedensten Bomben, Granaten und Luftminen hatten. Der Waffenstillstandswaggon, der noch vor kurzem strengstens bewacht am Bahnhof Crawinkel gesichtet wurde, verschwindet in den nächsten Tagen oder war schon weg – aber wohin? (Überwiegend zitiert aus "Zweiter Weltkrieg um Crawinkel", Dankmar Leffler 2003, Heft Nr. 2 sowie „Tatort Jonastal“, K.-P. Schambach.)
In Ohrdruf wurden zwischenzeitlich durch die Amerikaner am 7. April 1945 Mitarbeiter der Stadtverwaltung, der Bürgermeister Schneider, NSDAP-Beamte und weitere zivile Personen unfreiwillig abgeholt und in den Bereich des Häftlingslagers mit Lkws transportiert. Sie sollten sich persönlich ein Bild von dem machen, was sich in ihrer direkten Nachbarschaft und im Namen des deutschen Volkes dort ereignet hatte. Darunter war auch der Ohrdrufer Farbenfabrikanten Dr. Thilo Mühlberg. Sein privates Wohnhaus hatte er in den 1930er Jahren als Altersresidenz in Form einer Burg am Rande der Stadt errichten lassen. Von da aus war auch dieser Lagerbereich des Truppenübungsplatzes und alles was drumherum passierte, gut einsehbar. Colonel Hayden Sears, Kommandeur des Kampfkommandos der 4. US-Panzerdivision, erwartete die unfreiwilligen Besucher am Appellplatz. Er schrieb später an seinen Sohn als Begründung, dass sie nie dazu in der Lage sein sollten zu sagen, dass sie von allem dem nichts wussten, was hier passiert ist.
Neben den Einwohnern der Stadt wurde auch ein deutscher Major (Arzt) sowie zwei Gefangene vorgeführt, die als Verantwortliche für die Zustände im Häftlingslager identifiziert wurden. Hier mussten sie sich die Gräueltaten mit eigenen Augen ansehen. Sie sahen Leichen von Insassen des Häftlingslagers, die vor der Ankunft der US-Soldaten hinterhältig erschossen wurden. Alle wurden gezwungen, sich die aufgestapelten Leichen in einem Holzschuppen anzusehen. Die Toten waren unbekleidet und nur mit Kalk bedeckt. Als sie bei den getöteten Gefangenen standen, sagte Colonel Sears: „Das ist der Grund, warum wir Amerikaner nicht als Freunde hier sein können.“ Zum Schluss mussten sie sich auch das provisorische Krematorium 2 Meilen außerhalb besichtigen. Sie sahen die verkohlten Überreste von 10 Opfern des Nationalsozialismus in Ohrdruf/ Thüringen. Colonel Sears fragte den uniformierten deutschen Arzt: „Entspricht dies Ihrer Vorstellung von der deutschen Herrenrasse?" Der Offizier zögerte und antwortete schließlich: „Ich kann nicht glauben, dass Deutschen dies getan haben.“ Unter dem Eindruck des Gesehenen nahmen sich der Bürgermeister und seine Frau am gleichen Abend das Leben. Sie erhängten sich und entzogen sich so der Verantwortung.
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Ebenso mussten sich auch amerikanische Soldaten die Zustände und Opfer ansehen. Darauf bestanden die Befehlshaber vor Ort. In der ersten Woche der Besetzung Ohrdrufs mussten Tausende amerikanische Soldaten auf Anweisung ihrer Vorgesetzten das Horrorlager besichtigen, wenn sie zwischenzeitlich keine anderen Kampf- oder Sicherungsaufgaben hatten. General Patton schrieb dazu in seinen Erinnerungen: „General Walker und General Middleton hatten klugerweise beschlossen, so viele Soldaten wie möglich den Schauplatz besuchen zu lassen. Dies brachte mich auf die Idee, die Bewohner selbst ebenfalls das Lager besuchen zu lassen. Ich schlug dies Walker vor und stellte fest, dass der Bürgermeister und seine Frau es sich bereits angesehen hatten. Als die beiden nach Hause gingen, begingen sie Selbstmord. Wir haben später das gleiche System verwendet, um die Einwohner von Weimar durch das noch größere Sklavenlager (Buchenwald) nördlich dieser Stadt zu führen…“ Zum Vorgehen der amerikanischen Einheiten, deutsche Städte zur Kapitulation zu bewegen, schrieb er: „General McBride von der 80. US-Infanteriedivision beschrieb uns die neue Technik, die er entwickelt hatte. Sie bestand darin, ein paar Geschosse mit Flugblättern abzufeuern, die besagten, dass der Bürgermeister kommen und sich ergeben muss mit weißen Fahnen. Er sei für die Kapitulation verantwortlich und dass keine deutschen Truppen mehr in der Stadt waren bis zum Ablauf des Ultimatums. Während der Frist flogen einige Jagdbomber des XIX Tactical Air Command über die Köpfe der Stadt und sie flogen gegen Ende des Ultimatums immer tiefer. Nach Ablauf der Zeit, wenn die Deutschen bis dahin nichts unternommen hatten, wurden die Jagdbomber von der Luftunterstützung informiert und sie ließen ihre „Eier“ fallen. Gleichzeitig mit den Luftangriffen setzte Artilleriefeuer auf die Stadt ein. Infolge dieser Methode ergaben sich sehr viele Städte ohne Schwierigkeiten. Wir nannten das Vorgehen später "Third Army War Memorial Project", mit dem wir immer ein paar Salven in jede Stadt feuerten, in die wir uns näherten, bevor wir überhaupt um Kapitulation baten. Ziel war es, den Einwohnern künftigen Generationen von Deutschen etwa zu zeigen und um zu beweisen, dass die 3. US-Armee auch diesen Weg gehen konnte.“ Kurzum – So hatte General Patton in Kurzform die Taktik für die Einnahme von Eisenach zusammengefasst. (Buch: War As I Knew, Memoiren von General Patton)
Klaus-Peter Schambach
Förderverein Alte Mühle e.V.