Wiederaufbau von Crawinkel - Kriegstagebuch: 14. April 1945
(Aktueller Stand 10.4.2022)
Am 14. April 1945 wurden die Südausläufer des Thüringer Waldes komplett durch amerikanische Streitkräfte überwunden. Die Saale wurde an mehreren Stellen mit Sturmbooten, Fähren und über eine instandgesetzte Fußgängerbrücke in Rothenstein überschritten. Bis Mittag war die Saale-Verteidigung „Thüringen-Ost“ endgültig zusammengebrochen. Auf der gesamten Breite befanden sich die restlichen, nicht gefangengenommen deutschen Truppen auf der Flucht. Das Kriegsende stand in Mitteldeutschland unmittelbar bevor. (Quelle: Möller)
Die größte Bombardierung von Gera fand am 6. April 1945 als Primärziel statt. Zirka 275 Tonnen Bombenlast gingen über der Stadt nieder. Darunter waren auch Brandbomben. So mussten überall in der Stadt auch hier Menschen Furchtbares am eigenen Leib erleben. Dieser schwarze Freitag brannte sich daher tief in das Bewusstsein der Geraer ein. Am 7. April warf ein britischer Bomber eine 4.000-Pfund-Luftmine und 9 Sprengbomben über dem noch brennenden Stadtzentrum ab. Das Stadtmuseum mit seinen Sammlungen wurde erneut getroffen. Am 11. und 12. April setzte Artilleriebeschuss ein. Tiefflieger beschossen mit Bordwaffen die Straßen. Am 14. April zogen die US-Truppen ohne weiteren Widerstand in Gera ein. Am Mittag kapitulierten schließlich die letzten in Gera verbliebenen 1.200 Wehrmachtssoldaten. Die Todesangst und die ständige Bedrohung aus der Luft hatten damit ein Ende. (Quelle: mdr)
In den besetzten Städten übernahmen Militärkommandanten die zivile Exekutivgewalt. Wohnungen, Industrieanlagen und Verkehrswege waren beschädigt, Bahn und Post hatten ihre Arbeit eingestellt. Die Bevölkerung, besonders in den Städten, stand in einem täglichen Überlebenskampf: Die Gas-, Strom- und Wasserversorgung war größtenteils zusammengebrochen, öffentliche Verkehrsmittel hatten ihren Betrieb eingestellt. Jedoch war die Lage in Thüringen im Vergleich zu anderen Regionen deutlich günstiger. Die Besatzungstruppen waren zuerst auf die Sicherheit der eigenen Truppen und ihre Versorgung besorgt. Gleichzeitig waren die Häftlinge in den ehemaligen Konzentrationslagern zu versorgen. Tausende ehemalige Zwangsarbeiter wollten in ihre Heimat zurück, Flüchtlinge suchten eine neue Heimat, viele Männer waren als Soldat vermisst oder in Gefangenschaft. Die amerikanische Militärregierung in Thüringen, welche ihr Hauptquartier in Weimar hatte, verhängte nächtliche Ausgangssperren, registrierte die Bevölkerung und versuchte, das tägliche Leben zu organisieren. Hunger und Wohnungsnot mussten beseitigt werden. Gegen Plünderungen wurde vorgegangen. In der Bevölkerung herrschte Trauer, Resignation, Enttäuschung und Angst vor den Besatzern. Es gab aber auch Erleichterung, überlebt zu haben. Auch gab es Zuversicht und Hoffnung.
(Quelle: https://www.thueringen.de/imperia/md/content/polizei/bildungszentrum/pgs/ausstellung/diegeschichtederthueringerpolizei1945bis1990/070213_polizei_volkspol_tafel_1.pdf)
Ein sinnloser Verteidigungskrieg mit vielen Opfern ging in Thüringen zu Ende. Die Folgen waren noch lange auch in Crawinkel zu spüren. Das Leid war groß und trotzdem überwog die Freude, wenigstens überlebt zu haben. Es gab Unterbrechungen der Strom- und Trinkwasserbereitstellung. Auch die Versorgung der Leute mit Lebensmitteln war nicht ausreichend. Nur sehr langsam kehrte wieder so etwas wie ein normales Leben zurück. Über jeden Mann und Sohn, der von den Fronten und später aus der Kriegsgefangenschaft zurückkam, war die Freude riesig. Das neue Leben wurde durch die Amerikaner reglementiert. Sie bezogen in Crawinkel zunächst Quartier in mehreren Häusern in der alten Wald- und Südstraße, weil dort die Häuser am Dorfrand noch halbwegs bewohnbar waren und nur geringe Schäden aufwiesen. Die Hausbesitzer mussten die Häuser räumen und durften wie Paul Ballenberger in der Südstraße 17 nur zum Füttern und Melken der Ziege auf den Hof. Alle Hühner hatten die Amerikaner beschlagnahmt, geschlachtet und gebraten.
Am 12. April trafen große Räumfahrzeuge der US-Armee in Crawinkel ein. Das Dorf war ein großer Trümmerhaufen. An vielen Stellen qualmte noch die eingeäscherten Gehöfte. Die Straßen waren voller Schutt und riesige Bombentrichter von der Größe eines einstöckigen Hauses unterbrachen die Straßen. Mit großen Räumschilden schoben die Fahrzeuge die Trümmer zur Seite und verfüllten Bombentrichter, so dass die Straßen und Gassen wieder einigermaßen befahrbar wurden. Die in den Wald und das Jonastal geflüchteten Einwohner kehrten zurück und stellten mit Schrecken fest, dass Crawinkel nur noch ein einziger, rauchender Trümmerhaufen war. Von 993 Gebäuden im Gesamtbestand waren 208 komplett vernichtet und 593 wurden als beschädigt oder zerstört ermittelt. Als einigermaßen unbeschädigt wurden 192 Gebäude (inkl. Wohnhäuser und Scheunen) dokumentiert.
In den folgenden Tagen richteten die Amerikaner eine Ortskommandantur in der Gastwirtschaft Hasse (Drei Linden) ein. Der Gefechtsstand der amerikanischen Einheiten befand sich im Heim der Deutschen Turnerschaft (ehemals Jägerhaus und heute Falkenhorst). In den folgenden Wochen stellte die Ortskommandantur Kochtöpfe, Stühle, Feldbetten, Decken und anderes Material für die schwer geschädigte Bevölkerung bereit. Alle Parteien und Organisationen waren verboten. NSDAP Angehörige wurden verhört und inhaftiert. Neben der Beisetzung der 14 Einwohner, die während der Kampfhandlungen umgekommen waren, gab es in der gesamten Ortslage auch noch 20 ermordete Häftlinge sowie 13 unbekannte Soldaten, die bestattet werden mussten. In den ersten drei Tagen nach dem Einmarsch durften die Einwohner ihre Häuser nur von 7 bis 9 Uhr und von 16 bis 18 Uhr verlassen. Danach wurde die Ausgangssperre gelockert und der Ausgang war von 6 bis 21 Uhr erlaubt. Seit dem Einmarsch am 11. April wurden alle Häuser nach Waffen und versteckten deutschen Soldaten durchsucht. Nach dem 1. Erlass der amerikanischen Besatzungsmacht am 15. April mussten sämtliche Waffen, militärische Ausrüstungs-gegenstände, Ferngläser und Fotoapparate im Hof der Gemeindeverwaltung abgegeben werden. Die Fotoapparate wurden an Ort und Stelle zertrümmert. Aus diesem Grund ist es erstaunlich, dass Kurt Kloß aus Crawinkel den Mut aufbrachte, bis zirka 3. Mai eine einmalige Fotoserie anzufertigen. Er war als Elektriker an der Reparatur des Stromnetzes beteiligt und nutzte die Gelegenheit, meist von Lichtmasten herunter die verbotenen Aufnahmen zu machen – für uns heute ein Glücksfall. (Buch: Die Nachkriegszeit in Crawinkel, Dankmar Leffer, 2003)
Die Trümmer und Gebäudereste wurden zu einem großen Teil im so genannten Baggerloch hinter der Hundebude Richtung Luisenthal entsorgt. Vor dem Krieg entstand hier ab 1934 ein riesiges Loch, aus dem Kies und sämtliches Material zur Auffüllung des hinteren Bahnhofbereiches verwendet wurde, in dem später geschützt am Waldrand die Bomben und Munition der Muna Crawinkel auf Waggons verladen wurde. Den Schaulustigen der Arbeiten hatte man erzählt, dass die riesigen Bagger ein Loch für ein Walschwimmbad anlegten. Nur leider war nach dem Ende der Arbeiten angeblich nicht ausreichend Wasser vorhanden – hört, hört. In den Tagen und Wochen nach Kriegsende sah man die Einwohner in Crawinkel, wie sie in gegenseitiger Hilfe aufräumten, Schäden an ihren Häusern notdürftig flickten und Vorbereitungen für den Wiederaufbau trafen. Das Gelände der Muna wurde mehr oder weniger zur Plünderung der Baustoffe freigegeben und es wurde geholt, was herauszuholen war. Baracken, Balken, Ziegelsteine, Kabel, Zement, Fenster und Türen, Fliesen sowie Sanitäreinrichtungen. Die Gleise der Feldbahn ins Jonastal wurden in Fundamenten, in Decken und in Gartenzäunen verbaut und die Mulden der Loren wurden zu Wasserbehältern im Garten. So ist es auch heute noch möglich, Reste davon in Crawinkel zu entdecken, wenn man mit offenen Augen durchs Dorf läuft.
Klaus-Peter Schambach
Förderverein Alte Mühle e.V.