Wiederaufbau von Crawinkel - Kriegstagebuch: 12. April 1945
(Aktueller Stand 10.4.2022)
In der Nacht zum 12. April gelang es den Amerikanern bei Camburg und an der Autobahn südlich von Jena die Saale zu überqueren. Daraufhin übernahm der Stab der deutschen 347. Infanterie-Division die Führung auf dem südlichen Flügel des LXXXV. Armeekorps und den Befehl über alle am Ostufer der Saale eingesetzten Kräfte. Bis zum 13. April wurde das Korps an seiner Nordflanke überflügelt. Die Verteidiger konnten westwärts der Saale nur noch hinhaltend kämpfen und musste über die Saale nach Osten ausweichen. Eine erfolgreiche Abwehr war mit den vorhandenen Kräften nicht mehr möglich. Ebenfalls am 12. April ergab sich Ilmenau und die Bürger der Ilmenauer Straße in Öhrenstock konnten in den nachfolgenden Tagen wieder in ihre Wohnungen und Häuser zurück.
Am 12. April 1945 konzentrierte sich der amerikanische Vormarsch unaufhaltsam auf Erfurt, Weimar und Jena. Erfurt und Weimar wurden am gleichen Tag besetzt. Am 12. April richtete der Stab der 80. US-Infanteriedivision sein Quartier im Hotel und Gasthof der Brüdergemeine in Neudietendorf ein. Am Abend traf dort der Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte in Europa, General Dwight D. Eisenhower, ein und übernachtete nach einer langen Besichtigungstour. Zuvor landeten 9 Uhr morgens die Generäle Eisenhower und Bradley zunächst in der Nähe des Hauptquartiers von General Patton in Bad Hersfeld. Danach flogen Sie nach einer Lagebesprechung gemeinsam weiter nach Merkers, wo sie gegen 10:30 Uhr eintrafen. Tief unter der Erde existiert dort ein Netz von Stollen und gewaltigen Hohlräumen, die durch den Kalisalzabbau entstanden. 1945 lagerten darin die größten Gold- und Devisenreserven des 3. Reiches und vermutlich der Welt. Zusätzlich stapelten sich in den riesigen Kammern tausende Kisten mit Kunstgut aus Berliner Museen. Tief unter der Erde Thüringens sollten die Schätze vor dem Bombenhagel in der Reichshauptstadt und Kriegseinwirkungen geschützt werden. Nach dieser ersten Besichtigung fuhren die Generäle von Merkers aus gemeinsam nach Eisfeld zum Hauptquartier des XII. US-Korps von General Weyland. Nach dem Mittagessen flogen Eisenhower, Patton und Bradley von dort aus nach Gotha. Hier trafen sie General Walton H. Walker, kommandierender General des XX. US-Korps sowie General Troy H. Middleton, kommandierender General des VIII. US-Korps der 3. US-Armee. Das XX. US-Korps hatte sein Hauptquartier in Gotha, im Gebäude der Lebensversicherungsbank, aufgeschlagen, wo eine weitere Lagebesprechung stattfand. Wenn man bedenkt, dass die Generäle von Eisfeld nach Gotha mit Kleinflugzeugen („fliegenden Seifenkisten“) ohne Bewaffnung und ohne Begleitschutz geflogen sind, hätte vermutlich ein einziger deutscher Jäger ausgereicht und die oberste, alliierte Führung wäre ausgelöscht gewesen. Patton beschrieb dies später auch in seinen Erinnerungen eher ironisch. „Nach dem Mittagessen flogen wir, begleitet von einer mystischen Luftunterstützung, die nicht zustande kam, weil sie verloren ging…“
Von Gotha aus fuhren alle Generäle nach Vorschlag von General Walker gemeinsam mit Jeeps nach Ohrdruf in das Häftlingslager S III und besuchten zum ersten Mal ein „Horror Camp“ (Schreckenslager), wie es General Patton in seinen Erinnerungen festhielt. Erstaunlicherweise war das Ohrdrufer Lager bis dahin nicht auf dem Besuchsplan und die Bedeutung des Zufallsfundes auch noch nicht bis in die obersten Führungsebenen vorgedrungen. Auch von dem noch viel größerem KZ Buchenwald, das einen Tag zuvor ebenfalls zufällig entdeckt wurde, war an diesem Tag in Ohrdruf noch keine Rede laut den Erinnerungen und Erlebnisberichten. Erst am 14. April 1945 erfuhr General Patton vom noch größerem KZ in seinem Vormarschgebiet und besichtigte es umgehend einen Tag später. Die nun folgende Besichtigung des Ohrdrufer Konzentrationslagers am 12. April soll hier nun ausführlich beschrieben werden.
Am 12. April 1945 inspizierte der Oberbefehlshaber der alliierten Truppen in Europa und 5-Sterne-General Dwight D. Eisenhower gemeinsam mit weiteren Generalen den Frontabschnitt der 3. US-Armee in Thüringen. Am Nachmittag erreichten sie mit Jeeps das Lager Ohrdruf. Eisenhower sagte später über seine Eindrücke aus: „Ich bin niemals imstande gewesen, die Gefühle zu schildern, die mich überkamen, als ich zum ersten Mal ein so unbestreitbares Zeugnis für die Unmenschlichkeit der Nazis und dafür vor Augen hatte, dass sie sich über die primitivsten Gebote der Menschlichkeit in skrupelloser Weise hinwegsetzten. Bisher hatte ich nur gewusst, dass es Lager dieser Art gab, alles andere kannte ich nur vom Hörensagen. Nichts hat mich je so erschüttert wie dieser Anblick.“
Die katastrophalen Haft- und Versorgungsbedingungen in Ohrdruf prägten sich tief in das Gedächtnis der amerikanischen Soldaten ein. Aus diesem Grund dokumentieren sehr viele Erlebnisberichte sowie Fotos das Lager Ohrdruf, die dortige Totenbaracke, die erschossenen marschunfähigen Häftlinge, die Massengräber und der Scheiterhaufen, der zusätzlich errichtet wurde, um die Spuren zu beseitigen. Der spätere Präsident der USA, General Eisenhower (Spitzname IKE), dokumentierte seine Erlebnisse nach der Besichtigung in Ohrdruf wie folgt: „Ich sah mir in dem Lager alles auf das Genaueste an, weil ich es für meine Pflicht hielt, mich so eingehend darüber zu informieren, dass ich jederzeit selbst Zeugnis über diese Dinge ablegen konnte, falls man daheim glauben sollte, die Berichte über die Unmenschlichkeit der Nazi seien reine Propaganda. Einige meiner Begleiter ertrugen den Anblick nicht lange. Ich hielt bis zuletzt aus, und sobald ich am Abend in Pattons Hauptquartier zurückgekehrt war, telegraphierte ich nach Washington und London und drang bei den Regierungsstellen darauf, man solle sofort ohne weitere Umstände eine Reihe von Zeitungsredakteuren und Volksvertretern nach Deutschland schicken. Ich hielt es für richtig, der Öffentlichkeit in Amerika und England diese Beweise unverzüglich zugänglich zu machen, und zwar so, dass für zynische Zweifel kein Raum mehr blieb.“ (Quelle: Dwight D. Eisenhower, Kreuzzug in Europa, Amsterdam 1948, S. 467ff.)
General George S. Patton erinnerte sich später: „Wir fuhren nach Ohrdruf und besuchten zum ersten Mal ein Schreckenslager. Es war das Fürchterlichste, was man sich vorstellen kann. Ein Mann, der sich als ein früherer Insasse ausgab, spielte den Impresario und zeigte uns vor allem die Galgen, wo Leute gehängt wurden, die zu fliehen versucht hatten. Das Brett, auf das die Todeskandidaten gestellt wurden, befand sich etwa sechzig Zentimeter über dem Boden, und die aus dünnem Draht gefertigte Schnur war so angebracht, dass die Zehen des Fallenden gerade noch den Erdboden erreichten. Da der Sturz nicht genügend tief war, um ihm den Hals zu brechen, dauerte es etwa fünfzehn Minuten, bis der Arme aus Luftmangel starb. Immer musste der Nächste das Brett unter seinem Vormann wegstoßen. Anwesende Deutsche behaupteten, die nach dem Putsch gegen Hitler gehängten Generäle seien auf diese Weise umgebracht worden. Dann zeigte uns unser Führer den Auspeitschungstisch, der ungefähr so hoch war wie eine durchschnittliche Krücke. Die Füße des Opfers kamen in einen Schraubstock, sein Oberkörper wurde über den leicht eingebuchteten Tisch gezogen, durch zwei Leute festgehalten und Rücken und Lenden geprügelt. Der dazu verwandte Stock, an dem sich Blut befand, war länger als ein Pickelgriff. Unser Führer behauptete, selbst fünfundzwanzig Schläge mit diesem Werkzeug erhalten zu haben. Nachher ergab es sich, dass er kein Gefangener war, sondern zur Wachmannschaft gehört hatte. Eisenhower musste es vermutet haben, denn er fragte den Mann sehr betont, wieso er so wohlgenährt sei. Am nächsten Morgen fand man ihn tot auf. Einige Insassen hatten ihn umgebracht. Nicht weit von diesem Auspeitschungstisch lagen auf einem Haufen vierzig mehr oder weniger nackte Leichen. Man hatte sie aus nächster Nähe in den Rücken oder Kopf geschossen. Das Blut auf der Erde war noch nicht geronnen. In einem Schuppen fanden wir weitere vierzig völlig nackte Leichen, die die letzten Stadien der Auszehrung aufwiesen. Diese Leichname waren mit Kalk bespritzt – aber offenbar nicht, um sie zu vernichten, sondern um den Gestank zu vermindern, wozu Kalk allerdings kaum geeignet ist. Das Gesamtfassungsvermögen des Schuppens schätzte ich auf etwa zweihundert Leichen. Es wurde behauptet, sie seien dort liegen geblieben, bis der Schuppen ganz voll gewesen wäre, erst dann seien sie entfernt und eingegraben worden. Nach Angaben von Insassen sind seit dem 1. Januar 1945 rund dreitausend Personen von jenem Schuppen aus beerdigt worden. Als sich unsere Truppen näherten, hielten es die Deutschen für angezeigt, die Spuren ihrer Verbrechen zu verwischen. Sie zwangen daher die Insassen, die kürzlich beerdigten Leichname auszugraben und eine Art Riesenrost aus Eisenbahnschienen auf einem Ziegelfundament zu bauen. Die Leichen wurden daraufgelegt und der Versuch gemacht, sie zu verbrennen. Er misslang jedoch. Ganz unwillkürlich dachte man an ungeheuerliche kannibalische Orgien. Die Grube unter dem Rost war mit einer grünlichen Flüssigkeit angefüllt, aus der Arme, Beine und ganze Körperteile ragten. Walker und Middleton hatten sich entschlossen, so viele ihrer Soldaten wie möglich die Greuelstätte sehen zulassen. Dadurch kam ich auf den Gedanken, auch die Einwohner hinzuführen. Als ich das Walker sagte, erzählte er mir, er habe bereits den Bürgermeister und seine Frau bringen lassen. Auf dem Heimweg verübten beide Selbstmord.“ (Quelle: „Krieg, wie ich ihn erlebte“, George S. Patton Bern 1950, S. 211 f.)
General Omar Bradley schrieb später über seine Erlebnisse in Ohrdruf: „Der Geruch des Todes hüllte uns ein, bevor wir noch das Lager betreten hatten. Über dreitausendzweihundert nackte und völlig abgemagerte Leichen waren in tiefe Gruben geworfen worden. Andere lagen auf den Lagerstraßen, wo sie zu Boden gefallen waren. Läuse liefen über die bleiche Haut, die die abgezehrten und hervorstehenden Knochen bedeckte. Ein Mann zeigte uns das geronnene Blut in riesigen Wunden, gerissen von ausgehungerten Häftlingen, die versucht hatten, sich von den Leichen zu ernähren. Eisenhowers Gesicht wurde bleich, als trüge er eine Maske. Patton ging zu einer der Baracken und erbrach sich. Ich war zu aufgewühlt, um zu sprechen, denn hier war der Tod mit einer solchen Entwürdigung verbunden, dass man nur stumm und bestürzt innehalten konnte.“ (Quelle: „A Soldier‘s Story“, Omar Bradley)
Mit diesen Eindrücken und unter diesen Umständen wäre zu erwarten gewesen, dass das Häftlingslager Ohrdruf in den nächsten Tagen auf den Titelseiten der Zeitungen in Washington, London und Paris das Hauptthema gewesen wäre. Es kam aber alles etwas anders als geplant. Fortsetzung im Teil 1 des Kriegstagebuches von K.-P. Schambach.
(Quelle über alles: „Tatort Jonastal“, K.-P. Schambach, 2010)
Nach der Besichtigung des Ohrdruf KZ fasste General Eisenhower seine Beobachtungen zusammen: „Die sichtbaren Beweise und Zeugenaussagen über Hunger, Grausamkeit und Bestialität waren überwältigend und machten mich krank.“ Wenig später schlug Eisenhower vor, amerikanische und britische Journalisten nach Thüringen zu bringen, um ihnen das Grauen in den befreiten Konzentrationslagern zu zeigen. Sie sollten anschließend der Welt darüber berichten, was nationalsozialistische Verbrechen ausmacht. Die Berichte sollten aber auch eine Botschaft an die Heimat und die eigenen Soldaten sein: Seht her, weshalb wir hier in Europa kämpfen! Am 25. April besichtigte eine Journalisten-Delegation das KZ Buchenwald. Die Titelseiten der Zeitungen zeigten dann später oft teilweise die Besichtigung Eisenhowers am 11. April in Ohrdruf. Als Beispiel wurde eine Illustrierte vom 28. April 1945 an diesen Tagebucheintrag angehängt – The Illusttrated London News.
Wohin fuhren Eisenhower und sein Stab am Nachmittag des 12. April 1945? Diese Frage stellte das ZDF 1992 in einem Fernsehbeitrag „Das letzte Führerhauptquartier – Was fand die US-Armee 1945?“ Dieses Rätsel konnten wir mittlerweile lösen. Nach Ohrdruf ging die Fahrt der Generäle scheinbar zur Wachsenburg, wo vermutlich ein kleiner Zwischenstopp eingelegt wurde. Vor allem Aussagen von Cläre Werner sprechen dafür. Sie konnte English und hat nach Aussage ihrer Nichte Eisenhower am Eingang zur Burg begrüßt. Der Anlass des Besuches konnte bisher nicht eindeutig recherchiert werden. Eine weitere Besprechung als Hintergrund, wie es einige Quellen glaubhaft machen wollen, ist bisher nicht nachweisbar. Ob die Amerikaner weiterhin vermuteten, dass sich Hitler später einmal auf dieser Burg in der Nähe seines Führerhauptquartieres aufhalten wollte, ist nicht belegt. Da schon die Konzentrationslager nicht frühzeitig aufgeklärt und nicht in den Karten und Tageszielen der vorrückenden Einheiten vorkamen, ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Bedeutung der Jonastal-Baustelle an diesem Tag klar war und Eisenhower daher dort ebenfalls vorbeischaute. In allen verfügbaren Berichten stellt Niemand ernsthaft die Frage nach dem Warum für die Errichtung des Ohrdrufer KZ und der Zwangsarbeit zehntausender verschleppter Häftlinge. Beim Anblick der vielen Opfer von S III hätte diese Frage eigentlich zwangsläufig aufgeworfen werden müssen – Warum wurde diese Lager errichtet? Auch aus diesem Grund ist ein weiterer Zwischenstopp mit Besichtigung im Jonastal eigentlich so gut wie ausgeschlossen. Das Tagespensum am 12. April lässt einen Besuch der Baustelle und unfertigen Stollenanlage auch eigentlich nicht zu. Die verfügbare Zeit hätte nicht gereicht nach der Tour von Bad Hersfeld über Merkers, Eisfeld, Gotha und Ohrdruf.
Als letztes bekanntes Tagesziel wurde vermutlich nach der Wachsenburg das Hauptquartier der 80. US-Infanteriedivision, welches sich nur an diesem Tag in der Nähe in Neudietendorf befand, angefahren. General Mc Bride hatte sich hier mit seinem Stab im Gasthof einquartiert, wo weitere Lagebesprechungen nach der Einnahme von Erfurt bis in die Nacht folgten. Alle Generäle übernachteten auch in Neudietendorf. In dieser Nacht erfuhr General Patton eher zufällig vom Tod des bis dahin amtierenden, amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt, dem 32. Präsidenten der USA. Nun ging diese Nachricht zuerst wie ein Lauffeuer durch die Weltpresse und nicht die Zustände im Ohrdrufer KZ. Patton wollte kurz vor dem Schlafen gehen seine Uhr stellen und machte dazu das Radio an. Nachdem ihm die Tragweite der Nachrichten bewusst wurde, weckte er umgehend Eisenhower und Bradley und weitere Lagebesprechungen folgten. Patton: "...Es schien uns sehr bedauerlich, dass wir in einer so kritischen Phase unserer Geschichte die Pferde wechseln mußen." Die Nachricht vom Tod Roosevelts beeinflusste die weiteren Strategien und Angriffsoperationen nach der Besetzung von Thüringen und Teilen Sachsens. Mit Sicherheit wurde auch die Frage erörtert, ob man sich an dem Wettlauf nach Berlin und der Gefangennahme von Hitler beteiligt oder sich auf den Süden des 3. Reiches insbesondere Bayern und Österreich konzentrierte. Harry S. Truman wurde kurz danach der 33. Präsident der Vereinigten Staaten. Am Morgen des 13. Aprils verließ Eisenhower Neudietendorf, was durch Fotos des US-Soldaten Don Richards nachweisbar wurde. Alle Generäle sind deutlich zu erkennen und ein Schild mit 5 Sternen am Jeep. Nur Eisenhower hatte zu dieser 5 Sterne, alle anderen 4 (Bradley), 3 (Patton) und 2 (Walker & Middelton). Weiterhin konnten wir den Zeitzeugen Wolfgang Gross aus Hamburg ausfindig machen, dessen Eltern damals Pächter des Hotels waren. Er hatte schon vor Jahren/Jahrzehnten vergeblich versucht mitzuteilen, dass Eisenhower in Neudietendorf übernachtet hatte - im Schlafzimmer seiner Eltern. Nur hatte ihm damals Niemand geglaubt. Die neuen Informationen waren für ihn sichtlich Bestätigung und Genugtuung zugleich.
Neben den schicksalhaften Angriffstagen für Crawinkel Anfang April 1945 gab es ganz in der Nähe weitere Tatorte. Der Waffenstillstandswaggon von Compiègne ging nach vorliegenden Zeugenaussagen am 12. April 1945 Großteils in Flammen auf. Am gleichen Tag brannten auch Baracken in der Muna nicht weit entfernt vom letzten Versteck des Waggons. Er wurde vermutlich aufgrund der Angriffswellen auf Crawinkel vom Bahnhof weg auf ein sichereres Abstellgleis zwischen Crawinkel und Ohrdruf an den Rand der Muna verlagert. Ursprünglich sollte er noch vor Erreichen der Frontlinie in Crawinkel abgeholt werden, aber die letzte Lok/Mitfahrgelegenheit kam vermutlich nicht mehr. Die Geschichte der Luftmunitionsanstalt (LMuna – umgangssprachlich nur Muna genannt) verbirgt zudem mehrere schreckliche Geheimnisse und weitere folgten im Kalten Krieg. Neben der Produktion vom Bomben und Munition für den deutschen Angriffskrieg wurde hier zum Ende des Krieges Mitte Januar 1945 eines der Außenlager von Buchenwald für das Bauvorhaben S III errichtet. Nach den Erinnerungen der wenigen Überlebenden waren die Verhältnisse im Lager fast mit keinem anderen Häftlingslager vergleichbar. Sie beschrieben das Fehlen einer erfahrenen Lagerverwaltung, nicht vorhandene sanitäre Einrichtungen, mangelhafte Verpflegung, zu geringe ärztliche Versorgung und unter anderem kalte Erdbunker zur ungenügenden Unterbringung. Dazu kam die überstürzte Neugründung des Lagers ohne Vorbereitung einer ausreichenden Trink- und Abwasserversorgung. Der lange Transportweg der Arbeitskräfte von Ohrdruf zur Hauptarbeitsstelle im Jonastal wurde vermutlich wegen mangelnder Transportkapazitäten und Treibstoffen zunehmend zum Problem und führte zu immer größeren Verzögerungen des Baufortschritts. Aufgrund dessen wurden weitere Teillager für S III in Crawinkel und später Espenfeld eröffnet. So wurde der tägliche Arbeitsweg ins Jonastal erheblich verkürzt.
Die derzeit früheste Erwähnung des Lagers C (Crawinkel) in der Muna ist mit der Aufstellung der Arbeitskommandos vom 22. und 23. Januar 1945 mit einem Lagerbestand von 1.127 Häftlingen dokumentiert. Laut den Unterlagen wurden zu diesem Zeitpunkt 36 Erdbunker mit den Nummern 26 bis 62 genutzt. Die Muna Crawinkel wurde zu diesem Zeitpunkt gerade erst bezogen, denn laut dem Totenbuch des Südlagers verstarben erste Häftlinge direkt in Crawinkel erst am 31. Januar 1945. Der tägliche Arbeitsweg und zuletzt der Todesmarsch der Häftlinge aus dem Lager C führten – entgegen bisheriger Annahmen – auch direkt durch Crawinkel über den Markt bzw. am Markt vorbei. So müssen die Einwohner dort täglich zu Augenzeugen geworden sein. Aufgrund geltender Verbote und Strafandrohung sowie durch die damals teilweise nationalsozialistische Einstellung war es schwer, weitere Informationen darüber zu sammeln. Die meisten Einwohner trauten sich nicht, den Häftlingen zu helfen beziehungsweise sich am Fenster überhaupt blicken zu lassen. Die beginnende Auflösung des Häftlingslagers Crawinkel kann aufgrund der vorliegenden Aussagen ebenfalls mit dem 3. April 1945 angenommen werden. Nachdem das Lager geräumt war, nutzten in den letzten Kriegstagen viele Einwohner aus Wölfis und Crawinkel die Möglichkeit, Lebensmittel, Kleidung und weitere Gebrauchsgegenstände aus den verlassenen Muna Gelände zu holen. Einige der Munitionshäuser wurden auch als Versorgungslager für die deutschen Truppen umfunktioniert. Legendär war die Bettwäsche mit einem Karo-Muster. Dieses so genannte Muna-Karo ist noch Jahrzehnte später in verschiedenen Haushalten aufgetaucht in den unterschiedlichsten Verarbeitungsweisen. Wie im Häftlingslager Ohrdruf müssen auch bereits in der Muna einige tote Häftlinge gelegen haben. Zum Zwecke der Plünderung stieg man dann vermutlich einfach drüber – Zeit für Menschlichkeit gab es nicht. Am Ortsausgang von Crawinkel in Richtung Ohrdruf, wo heute Pferdeställe stehen, wurde später nach dem Krieg ein Obelisk für tote Häftlinge errichtet und die Toten in einem Massengrab im Auftrag der der amerikanischen Besatzer bestattet. Dieser Obelisk wurde aber durch die Sowjets nach kurzer Zeit wieder entfernt und die Toten exhumiert. Diese wurden ggf. nach Espenfeld zum großen Gräberfeld des Zeltlagers umgebettet. Diese Arbeiten mussten ehemalige Nazis aus Crawinkel durchführen. Auf dem Friedhof in Crawinkel ist ein weiteres Massengrab für insgesamt 13 unbekannte Opfer des „Faschistischen Krieges“. Viele weitere Baumaterialien wurden nach dem Krieg meist durch Einwohner der umliegenden Orte, vor allem auch aus Crawinkel, zum Wiederaufbau der zerstörten Wohnhäuser und Scheunen genutzt. So kam es zur ersten Demontage und Plünderung der Muna. Alles Brauchbare wie die Einrichtung, Holzbalken, Steine, Fliesen und sogar Wasserleitungen, die zuvor ausgegraben werden mussten, wurden nach Genehmigung durch die Besatzungsmächte einem neuen Zweck zugeführt.
Neben dem Stollenbau im Jonastal verlegten Häftlinge in direkter Nachbarschaft zur Muna umfangreiche Gleisanlagen im Wald zwischen Crawinkel und Luisenthal. Dazu gehörten zusätzliche Gleise für eine „Sonderzugabstellung“ sowie ein komplett neues Anschlussgleis, das fast bis zu der ersten Bunkerreihe reichte. Hier sollten vermutlich ab diesem Zeitpunkt die weiteren Häftlingstransporte aus anderen KZ ankommen und entkräftete Zwangsarbeiter in Sterbelager abgeschoben werden. Das Lager C bildete zum Kriegsende scheinbar das neue Hauptlager, nachdem das entfernte Nordlager in Ohrdruf zum Krankenrevier umfunktioniert wurde. Ausreichend Platz war in der Muna vorhanden bei ungünstigen Überlebensbedingungen in der „Hölle“ von Crawinkel.
Es sind bisher nur 2 Fotos aus der Muna von 1945 bekannt. Abgebildet ist einmal eine Verladehalle an einer Straße mit vermutlich einem toten Häftling im Vordergrund. Amerikanische Truppen fotografierten dies am 12. April 1945 zusammen mit brennenden Baracken, die laut Bildbeschriftung aus Rache von Zwangsarbeitern angezündet wurden. Bildunterschrift im Original: „Als Vergeltung dafür, dass sie so lange gefangen gehalten wurden, zündeten die Insassen dieses Sklavenarbeits-Konzentrationslagers es an, als sich die Deutschen vor der vorrückenden 3. US-Armee in der Nähe von Ohrdruf zurückzogen.“
Seit dem 1. April 1945 stand der weltberühmte Waffenstillstandswaggon direkt im Bahnhofsbereich in einem Versteck geschützt unter Bäumen und wurde streng bewacht. Alfred Ballenberger aus Crawinkel war damals 16 Jahre alt und sah ihn dort stehen. Er erinnerte sich, dass der Bahnhof damals Umschlagplatz für die Baustelle Jonastal war und die vielen Waggons mit Baumaterialien, die täglich eintrafen, nicht mehr aufnehmen konnte. Alfred schnappte beim Eisenbahner Gustav Erich ein Gespräch auf, als er bei dessen Sohn zu Besuch war. Er teilte seiner Frau mit, dass der Waggon von Compiègne in Crawinkel erwartet wird. Den Jungen war aus dem Schulunterricht sofort klar, um welchen Waggon es sich handeln musste. Der Waffenstillstandswaggon, in dem am 11. November 1918 Deutsche und Franzosen die Beendigung der Kampfhandlungen vereinbarten, wurde danach gleichzeitig Symbol für den Sieg auf der einen und das Symbol für die Niederlage und so genannte Schmach auf der anderen Seite zweier europäischer Nachbarn. Am 21. Juni 1940 mussten Regierungsvertreter Frankreichs im gleichen Eisenbahnwaggon die erneuten, dieses Mal entgegengesetzten Waffenstillstandsbedingungen des Deutschen Reiches in Empfang nehmen. Der Waggon wurde danach als Kriegsbeute nach Berlin verbracht und ging am Ende des Zweiten Weltkrieges auf seine letzte Fahrt in Richtung Thüringen in die Nähe des Jonastals. Unsere Heimat wurde vom nationalsozialistischen Regime als ein letztmögliches Rückzugsgebiet vor den alliierten Armeen vorbereitet. Dazu sollte im Jonastal eine unterirdische Führungsstelle für das Führerhauptquartier entstehen und der Führer selbst in Friedrichroda sein Quartier finden. Mitte April 1945 wurde der Waffenstillstandswaggon, der als der berühmteste Eisenbahnwaggon der Welt bezeichnet wird, im Wald zwischen Crawinkel und Ohrdruf zerstört. Der letzte Bahnhof für den Waggon kann daher kein Zufall gewesen sein. Der Waggon wurde zu großen Teilen durch ein Feuer zerstört. Zeitzeugen und Sachzeugnisse haben diese Tatsache bestätigt. Nach ungenauen Angaben war Alfred Ballenberger am 11. oder 12. April wieder mit weiteren Jugendlichen unterwegs auf der Suche nach Gegenständen, die der Krieg hinterlassen hatte - hauptsächlich auf der Suche nach Nahrungsmitteln. Etwa einen Kilometer von Crawinkel entfernt stießen die Jungen auf den „schwelenden“ Eisenbahnwaggon. Mit großem Herzklopfen gingen sie zügig durch den Waggon aus Angst erwischt zu werden. „Hier und da glimmten einige Sitze“, erinnerte er sich, der Rest sei verwüstet gewesen.
Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass hier die gleichen Zwangsarbeiter am selben Tag Feuer legten wie in der Muna selbst, was die Fotos bestätigen. Der Waffenstillstandswaggon stand nur wenige 100 Meter entfernt vom Aufnahmestandort der beiden Muna-Fotos. Arno Töpfer aus Ohrdruf war noch kurz zuvor im Abteil, ebenfalls auf der Suche nach Essbarem und Brauchbarem. „Der Wagen machte einen guten Eindruck, Fenster und Türen waren offen.“ Er erinnere sich noch an Sessel und Stühle, die um einen großen Tisch herumstanden. „Auf dem Tisch war eine Glasplatte und darunter Schriftstücke in ausländischer Schrift.“ Den Schriftzug „Keitel“ habe er erkannt. Auch von den blauen und roten Vorhängen und Tischdecken weiß er noch. Allerdings, so Töpfer, hätten Schnaps- und Bierflaschen sowie Essenreste umher gelegen: „Darin wurde gefeiert!“ Kurz darauf hörte er „ausländische“ Stimmen und sah Menschen in blauer Arbeitskleidung mit der Aufschrift „Ost“. „Es könnte Russisch gewesen sein. Die Männer haben mich rausgeschmissen und davongejagt. Anschließend gingen sie mit großem Gegröle in den Wagen und am Abend sahen wir die Flammen im Wald.“
Im Krieg waren neben KZ-Häftlingen auch viele Fremdarbeiter zur Zwangsarbeit in Rüstungsbetrieben in der Region insbesondere in Gotha eingesetzt. Nach der Besetzung Thüringens durch die amerikanischen Einheiten nutzten sie ihre Freiheit und traten teilweise auf eigene Faust den Heimweg an. Sie plünderten ebenfalls und nahmen sich, was sie brauchten. Den Waggon wollten sie gegeben falls nicht den Deutschen überlassen und zündeten ihn bewusst aus Vergeltung oder durch Unachtsamkeit mit offenem Feuer an. Zuvor nutzten sie unbewusst und zum letzten Mal den bekanntesten Speisewagen als Unterschlupf und ihre persönliche Siegesfeier. Nach dem Brand wurde der Waggon weiter durch die Einwohner der umliegenden Orte nach allem Brauchbaren durchsucht und was nicht niet- und nagelfest war, demontiert. Kupferblech vom Dach, Bronzebuchstaben der Beschriftung inklusive CIWL Emblem, Vorhänge, Möbel und Holz - nur das lauffähige Fahrgestell blieb am Ende übrig. Im Herbst 1945 schleppten es Eisenbahner zum Bahnhof Gotha. Auch durch die Fahrtauglichkeit der Waggonreste ist eine Sprengung ausgeschlossen. In Gotha ging der Zusammenhang zum Waffenstillstandswaggon verloren. Ende der 40er Jahre wurde nach dem Krieg das Fahrgestell im Reichsbahn Ausbesserungswerk Gotha zum Werkswagen umgebaut. Anfang der 70er Jahre wurde der Waggonunterbau für das Weichenwerk Gotha für den innerbetrieblichen Verkehr umgebaut. „Der alte Franzose“ beziehungsweise der Werkswagen 17 wurde dort liebevoll auch „Kanapee“ genannt. 1986 Jahre wurde der Werkswagen dort nach Bruch eines Längsträgers verschrottet. Dies war das unspektakuläre Ende des wohl berühmtesten Eisenbahnwaggons der Welt, der zuletzt komplett in Crawinkel stand. Aus diesem Grund markiert ein Prellbock am Bahnhof Crawinkel seine letzte Station am Informationspunkt über die Geschichte des Waggons. (Quellen: „Geheime Fahrt ins Vierte Reich“, D. Leffler + K.-P. Schambach, „Tatort Jonastal“, K.-P. Schambach)
Insgesamt betrachtet war der 12. April 1945 kein ganz normaler Tag im Kriegstagebuch von Thüringen.
Klaus-Peter Schambach
Förderverein Alte Mühle e.V.