„Wir haben die Vergangenheit hinter uns gelassen – vergessen dürfen wir sie aber nicht“, so die Devise der Schirmherren des Aufrufs für den diesjährigen Sternmarsch zum Denkmal für die Opfer der Verbrechen in der Endphase des II. Weltkrieges im thüringischen Jonastal am 4. April.
Mit ihm soll die Erinnerung an die unter der Tarnbezeichnung S III zusammengefassten Konzentrationslager in Ohrdruf, Crawinkel und Espenfeld wachgehalten werden. Jene Lager seien heute leider weitestgehend vergessen und die dort stattgefundenen
Kriegsendphasenverbrechen der Nationalsozialisten bislang nicht aufgeklärt, heißt es in dem Aufruf weiter. Verantwortliche seien daher nicht oder nur im geringen Maße zur Rechenschaft gezogen worden. „Ohrdruf, le camp oublié des Buchenwald“ - „Ohrdruf, das vergessene Lager von Buchenwald“ überschreibt auch der ehemalige Resistancekämpfer und Häftling Marcel Lanoiselée seine 2005 erschienenen Erinnerungen an die Monate mörderischer Zwangsarbeit im Stollensystem zwischen Crawinkel und Arnstadt. Es war als wehrhafter Unterschlupf für die Spitzen des Hitlerregimes geplant. Zwischen November 1944 und dem Eintreffen von Einheiten der 4. US-Panzerdivision am 04. April 1945 durchliefen bis zu 24 000 Häftlinge die eilig aus ehemaligen Pferdestellen, Munitionsbunkern und Zelten bestehenden Lager, deren unmenschliche Lebensbedingungen wie auch die mörderische Arbeit im Dreischichtsystem zu hoher Sterblichkeit führten. Schätzung gehen von 6000 bis 7000 Häftlingen aus, die durch Entkräftung und Krankheit ihr Leben ließen. Hinzu kamen Bestrafungen bei den geringsten Vergehen, Mord durch Erschlagen mit Schaufelstielen, Erhängungen, Verbrennungen von Kranken und geschwächten Häftlingen bei lebendigem Leibe in Abfallgruben des Lagers. Ein Teil der Toten wurde in der Umgebung des Nordlagers in Massengräbern bestattet. Andere wiederum transportierte die SS zur Einäscherung auf Lastkraftwagen nach Buchenwald.
Als die Wachmannschaften am 3. April 1945 die Kettengeräusche amerikanischer Panzer vernahmen, zwingen sie die noch gehfähigen Gefangenen zum Abmarsch. Andere werden auf LKWs verladen. Jene, die zu schwach sind, werden erschossen. Beim Eintreffen finden die GIs zahlreiche Leichen. Der Operations-Report vom 4. April beschreibt deren Schock beim Betreten des Lagers: „Kampferfahrene Veteranen, die dem Tod schon oft begegnet waren, blickten schweigend auf das Nazi-Schlachthaus. Manche weinten. Den Tod auf dem Schlachtfeld konnten sie verstehen. Dieses vorsätzliche, bestialische Morden aber ging über ihre Vorstellungskraft.“ Es war das erste derartige Lager, auf das die Soldaten gestoßen waren. Ihr Oberbefehlshaber General Eisenhower, der sich am 12. April [kps: Datum korrigiert] einen eigenen Eindruck vom Grauen verschaffte, beschreibt seine Eindrücke so: „Am selben Tag sah ich mein erstes Horrorlager… Ich habe nie vermocht, meine Gefühle zu beschreiben, als ich zum ersten Mal mit dem unwiderlegbaren Zeugnis von nazistischer Brutalität und skrupelloser Missachtung jeder Spur von Anstand konfrontiert wurde. Bis dahin wusste ich davon nur allgemein oder aus Sekundärquellen. Ich kann jedoch mit Sicherheit sagen, dass ich niemals zuvor oder später einen solchen Schock erlitten habe.“ Entsprechend nachhaltig lebt der Erinnerung an das Ohrdrufer KZ gerade in den US Kriegserinnerungen fort. Jüngster Beleg ist der 2012 fertig gestellte und mehrfach ausgezeichnete Film „16 photographs at Ohrdruf“. Er erzählt die Geschichte von Fotodokumenten, die der 1991 verstorbene US-Kriegsveteran Donald Johnson als junger Mann am 04. April 1945 am Rande der Thüringer Kleinstadt anfertigte. Aus Anlass des 70. Jahrestages der Befreiung des KZ Ohrdruf wird er hier in Originalsprache im Beisein des Regisseurs Matthew Nash aufgeführt: 04.04.2015,
19:00 Uhr Schlossgartenpassage Arnstädter Straße 8-10.
Link zum Sternmarsch: http://www.cravunkele.de/
Link zum Film: http://16photographs.com/
Quelle: Neues Deutschland am 27. März 2015
Artikel von Dieter Janke